«Leider ist die Serie ausgerechnet an der Heim-WM gerissen»

von Fabio Baranzini / Swiss Faustball

Die Heim-WM in Winterthur Mitte August ist für die Schweizer Männer Nationalmannschaft nicht wie gewünscht verlaufen. Zum ersten Mal seit acht Jahren gab es für die Schweizer Männer keine Medaille an einem internationalen Grossanlass. Wir sprechen mit Hanspeter Brigger, Chef Leistungssport von Swiss Faustball, über die Gründe und die nächsten Schritte.

Die Heim-WM in Winterthur ist seit ziemlich genau einem Monat vorbei. Welche Eindrücke sind noch präsent?
Für mich als Chef Leistungssport ist es natürlich ein Ansporn, wenn ich sehe, wie viel die Medien vor und während der WM über uns berichtet haben. Wir haben auch sehr viel positives Feedback bekommen von Leuten, die mit Faustball bisher nichts zu tun hatten. Und auch beim Nachwuchs habe ich festgestellt, dass sie den Faustballsport an der Heim-WM von einer neuen Seite haben kennenlernen durften. Das sind alles bleibende Eindrücke.

Und sportlich?
Der vierte Rang ist natürlich enttäuschend für uns. Das ist ganz klar. Trotzdem muss man auch festhalten: Mit diesem vierten Rang ist immer zu rechnen. Es sind nun mal vier Top-Nationen am Start und da muss immer eine in den sauren Apfel beissen. In den letzten Jahren hatten wir eine wohl einmalige Serie mit sieben Finals in Folge hingelegt. Leider ist die Serie ausgerechnet an der Heim-WM gerissen.

Was sind denn die Gründe dafür, dass es «nur» zum vierten Rang gereicht hat?
Wir stecken derzeit mitten in der Auswertung der WM. Wir nehmen uns bewusst viel Zeit für die Analyse und möchten diese so fundiert wie möglich machen. Wir werden die Arbeit des Staffs kritisch durchleuchten. Zudem habe ich mit verschiedenen Persönlichkeiten gesprochen, die den Schweizer Faustballsport in den letzten Jahren geprägt haben und deren Meinung ich sehr schätze. Desweiteren werden wir auch mit jedem Spieler in einem Gespräch unter vier Augen über diese WM reden. Was sind ihre Eindrücke? Wie sind sie zufrieden mit ihrer Leistung? Warum haben wir die Medaillen verpasst? Wie sehen sie ihre Zukunft in der Nationalmannschaft? Diese Fragen werden wir stellen.

Diese letzte Frage möchte ich gleich aufgreifen: Wie sieht denn die Zukunft der Nationalmannschaft aus?
Eine definitive Aussage zu treffen, ist jetzt noch zu früh. Es hat sich aber in der Vergangenheit gezeigt, dass es nach einer WM immer auch zu Rücktritten gekommen ist von Spielern und Staff. Ich gehe davon aus, dass dies auch jetzt der Fall sein wird. Klar ist beispielsweise bereits, dass Michael Suter sein Amt als Delegationsleiter nach sechs Jahren niederlegen wird. Wie es bei den Spielern und im Staff aussieht, werden wir in den noch ausstehenden Gesprächen evaluieren.

Wenn man die jüngsten Resultate bei den Nachwuchs-Titelkämpfen anschaut, dann fällt auf, dass die Schweiz sowohl bei den Junioren als auch den Juniorinnen klar die Nummer drei in Europa und die Nummer vier weltweit ist. Wird dieser Tatsache in der Analyse rund um die WM auch Rechnung getragen?
Auf jeden Fall, denn das ist enorm wichtig. Wir müssen uns ganz klar auf allen Stufen hinterfragen und schauen, was wir besser machen können, um den Anschluss an die Top Nationen wiederherzustellen. Denn das ist unser Anspruch. Der zeitliche Aufwand für den Spitzen-Faustballsport nimmt zu. Eine Umfrage bei den Natispielern hat ergeben, dass diese teilweise 18 bis 20 Stunden pro Woche für den Wettkampf, das Faustballtraining oder das Kraft- oder Ausdauertraining aufwenden. Da stossen wir im Faustball an eine Grenze. Denn auch im Beruf und in der Familie kommen immer mehr Verpflichtungen auf uns zu. Das haben Oliver Lang und ich auch in der Vorbereitung auf die WM gespürt. Die Bereitschaft der Spieler, noch mehr zu geben, ist nicht für alle möglich. Ein kleiner Vergleich: Für die WM in Argentinien vor vier Jahren haben wir 30 Vorbereitungstage als Team absolviert. In Winterthur waren es noch 16 Einheiten.

Im Hinblick auf die WM kam ein neues Selektionskonzept zum Einsatz. Neu stand das Kader nicht bereits Anfang Jahr fest, sondern wurde erst zwei Woche vor WM-Start bekannt gegeben. Wie fällt das Fazit zu diesem neuen Selektionsverfahren aus?
Das war ein Versuch mit Vor- und Nachteilen. Ein Vorteil war sicherlich, dass wir Jan Meier dank diesem Selektionskonzept an die WM mitnehmen konnten. Er hatte uns Anfang Jahr aus familiären und beruflichen Gründen noch abgesagt. Als wir ihn dann kurz vor der WM aufgrund seiner starken Leistungen in der Meisterschaft nochmals kontaktiert haben, sagte er zu. Natürlich hat dieses Konzept auch Schwachpunkte. Ich habe es bereits erwähnt: Wir haben als Team schlicht zu wenig Zeit gemeinsam verbracht in der Vorbereitung. Nicht zu unterschätzen waren die Verletzungen einiger Spieler, denn das hatte zur Folge, dass wir selten komplett und unter der nötigen Wettkampfhärte trainieren konnten.

Warum ist das denn so wichtig? Faustballspielen können die Jungs alle und sie kennen sich auch schon viele Jahre.
Das ist richtig, aber der moderne Faustball erfordert sehr flexible Spielsysteme. Die X- und V-Formationen sind wieder ein Thema geworden. Fast alle Angreifer mit Ausnahme von Patrick Thomas nutzen den Sprungservice für wuchtige, aber auch sehr gerade Anschläge. Mit diesem Power an die Grundlinie öffnen die Angreifer das Halbfeld, was wiederum Problemzonen mit Bällen im Halbfeld (halblange) schafft. Da ist die X- oder V-Formation ein probates Mittel dagegen. Damit aber diese verschiedenen Spielsysteme funktionieren, muss man Zeit aufwenden, bis die Abstimmungen und die Laufwege stimmen – insbesondere auch in Drucksituationen. Wir haben diese Karte an der WM auch gezogen, aber sie funktionierten noch nicht auf gewünschten Level.

Was auffällt, wenn man die Resultate der WM anschaut: Ab dem Viertelfinal gewinnt die Schweizer Nationalmannschaft in den wichtigen Spielen gegen die grossen Nationen keinen einzigen Satz mehr. Was war da los?
Einerseits muss man sagen, dass sicherlich das Wettkampfglück nicht immer auf unserer Seite war und wir auch mit einigen Verletzungen zu kämpfen hatten. Ab dem Viertelfinal haben wir 10 Sätze verloren – das Italienspiel ausgenommen. Fünf Sätze davon gingen in eine heisse Phase. Das heisst, wir waren dran, aber wir haben «den Sack nicht zugemacht». Wir haben beispielsweise Satzbälle im Viertelfinal gegen Österreich und im Halbfinal gegen Deutschland nicht verwertet. Das war in den letzten Jahren anders. Da haben wir jeweils die wichtigen Punkte gewonnen. Hätten wir in diesen Spielen einmal einen Satz gewinnen können, bin ich davon überzeugt, dass unsere Maschinerie ins Rollen gekommen wäre und wir auch vom Heimvorteil so richtig hätten profitieren können. So war es aber nicht.

Von Aussen hatte man das Gefühl, dass es doch einige Spieler gab, die durch den Druck der Heim-WM und dem damit verbundenen grossen Interesse der Medien gehemmt waren.
Natürlich ist die Drucksituation an der Heim-WM anders. Im Vorfeld haben wir diese Konstellation diskutiert und haben uns vorgenommen, diese Atmosphäre zu geniessen und so in einen Spielrausch zu kommen. Fünf Wochen vor der WM haben wir im Brügglifeld gegen Deutschland gewinnen können. Wir waren auf Kurs und hatten insbesondere auch in der Abwehr starke Aktionen. Auch in der Vorrunde haben wir gegen Chile und Brasilien gut gespielt. Aber danach haben sich die Probleme beim Zuspiel und bei den Laufwegen in der Abwehr akzentuiert. Wir mussten unsere Stamm-Fünf stetig anpassen, was dem Zusammenspiel sicherlich nicht nützlich war. Im Angriff hat auch die nötige Kaltschnäuzigkeit gefehlt. Leider stellte sich die Knieverletzung von unserm Teamcapitan Ueli Rebsamen als schwerwiegender heraus und er war noch nicht in der erhofften WM-Form.

Schauen wir zum Schluss noch in die Zukunft: Wann dürfen wir mit den Ergebnissen der Analyse zur Gesamtsituation der Nationalteams von Swiss Faustball rechnen?
Im November wollen wir kommunizieren wie es weiter geht. Es werden jedoch auch in Zukunft alle gefordert sein, wenn es um den Neuaufbau eines 4-Jahres Zyklus geht. Die Spieler und auch die Trainer. Schliesslich wollen wir schon im nächsten Jahr wieder voll dabei sein, wenn bei den Männern die EM in Bozen austragen wird und die Frauen in Chile um den WM-Titel kämpfen.

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